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3SAT, Lutz Goerner, Lyrik fuer Alle, Klabund: Folge 143

Angekommen sind wir in der Weimarer Republik
in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Der Autor, den ich Ihnen heute vorstellen will, heißt Alfred Henschke.
Er ist in Crossen an der Oder 1890 geboren.
Und als er sechzehn war, stellte man bei ihm eine Lungentuberkulose fest,
was damals ohne Penicillin einem Todesurteil gleichkam.
Zwei Jahre danach beginnt Alfred Henschkes Dichterleben,
das 20 Jahre dauerte bis zu seinem Tod 1928.
Während dieses Dichterlebens nannte er sich Klabund,
eine Verbindung aus Klabautermann und Vagabund.

Die Harfenjule
von Klabund
Emsig dreht sich meine Spule,
Immer zur Musik bereit,
Denn ich bin die Harfenjule
Schon seit meiner Kinderzeit.
Niemand schlägt wie ich die Saiten,
Niemand hat wie ich Gewalt.
Selbst die wilden Tiere schreiten
Sanft wie Lämmer durch den Wald.
Und ich schlage meine Harfe,
Wo und wie es immer sei,
Zum Familienbedarfe,
Kindstauf oder Rauferei.
Reich mir einer eine Halbe
Oder einen Groschen nur,
Als des Sommers letzte Schwalbe
Schwebe ich durch die Natur.
Und so dreht sich meine Spule,
Tief vom Innersten bewegt,
Bis die alte Harfenjule
Einst im Himmel Harfe schlägt.

70 Bücher hat Klabund in diesen zwanzig Jahren zu Wege gebracht,
d.h. alle drei, vier Monate ein Buch. 25 Dramen, 14 Romane, 21 Gedichtbände, dazu noch Erzählungen und Nachdichtungen meist chinesischer Lyrik.
Ein Wettlauf mit dem Tod.
Ein Wettlauf auch durch meist südliche Sanatorien.

Sanatorium
Auf der Veranda. Neben mir zwei Huren
Aus der Gesellschaft, syphilitisch eitel.
Sie streicheln zärtlich meinen Schuppenscheitel
Und sprechen von Chinin und Liegekuren.
In ihren grauverhängten Blicken duck ich,
Ein Morphiumteufel ihrer Liebesmasche.
Ich hüstle, huste, und zuweilen spuck ich
Den gelben Auswurf in die blaue Flasche.

In einem Sanatorium lernte Klabund auch seine erste Frau kennen,
die aber schon nach kurzer Ehe bei der Geburt des ersten Kindes starb.

Ich sehs an deinem Bilde, auch du leidest,
So himmelweit von mir entfernt zu sein.
Ich fühl, wie du die Engelspiele meidest
Und wie du traurig bist, besternt zu sein.
Ich bin nur deines Schattens schmaler Schatten.
Du bist so hell. Ich bin so dunkel ganz.
O wirf den goldnen Käscher nach dem Gatten
Und zieh hinüber ihn in deinen Glanz!

Klabund schreibt:
»Mit dem Kinde habe ich sie getötet.
Meine höchste Seligkeit wurde meine tiefste Schuld.«
Selber tot sein möchte er:

Am Luganer See
Durchs Fenster strömt der See zu mir herein,
Der Himmel auch mit seinem Mondenschein.
Die Wogen ziehen über mir dahin,
Ich träume, dass ich längst gestorben bin.
Ich liege auf dem Grunde alles Seins
Und bin mit Kiesel, Hecht und Muschel eins.

1911 begann Klabund in München Pharmazie zu studieren
und in diesem Zusammenhang
lernte er 1917 den acht Jahre jüngeren Bertolt Brecht kennen,
der dort in Medizin immatrikuliert war.
Beide studierten nur sehr vage und widmeten sich ihren Dichtungen.
Sie traten zusammen auf, sangen ihre Gedichte zur Gitarre.
Auch in Kathi Kobus Simpl, wo Ringelnatz Hausdichter war.
Manchmal gesellte sich Karl Valentin oder Frank Wedekind dazu,
manchmal die Schauspielerin Carola Neher,
die Klabunds zweite Frau werden sollte,
und die in Brechts Dreigroschenoper die Polly sang,
und für die er das Gedicht Kukuli schrieb.

Kleiner Vogel Kukuli,
Flieh den grauen Norden, flieh,
Flieg nach Indien, nach Ägypten
Über Gräber, über Krypten,
Über Länder, über Meere,
Kleiner Vogel, lass die schwere
Erde unter dir und wiege
Dich im Himmelsäther - fliege
Zwischen Monden, zwischen Sternen
Bis zum Sonnenthron, dem fernen,
Flieg zum Flammengott der Schmerzen
Und verbrenn in seinem Herzen.

Carola Neher floh 1933, fünf Jahre nach Klabunds Tod
vor den Nazis in die UDSSR,
wo sie als so genannte Agentin von Stalins Schergen
zu zehn Jahren Lagerhaft in Sibirien verurteilt wurde
und wo sich ihre Spur im Dunkel verliert.

Klabund wurde in Crossen in seiner Geburtsstadt begraben.
Gottfried Benn hielt die Totenrede
und nannte ihn einen »sich selbst verzehrenden, genialischen Künstler.«

Doch vielleicht noch mal zurück zum Anfang.
Zur Harfenjule, einem Gedichtbändchen,
das Klabund 1927, kurz vor seinem Tod zusammengestellt hat.
Kurt Tucholsky hatte darin ein Lieblingsgedicht.
Es trägt den Titel: Bürgerliches Weihnachtsidyll
und Tucholsky schreibt darüber:
»Klabund hat es mir einmal leise am Klavier vorgesungen
- er hatte es in sein Notizbuch gekritzelt
und da saß er so still und bräunlich am Klavier,
er hätte ruhig zum Schluss mit dem Hut einsammeln gehen können.«

Bürgerliches Weihnachtsidyll
Was bringt der Weihnachtsmann Emilien?
Ein Strauß von Rosmarin und Lilien.
Sie geht so fleißig auf den Strich.
O Tochter Zions, freue dich!
Doch sieh, was wird sie bleich wie Flieder?
Vom Himmel hoch, da kommt sie nieder.
Die Mutter wandelt wie im Traum.
O Tannenbaum! O Tannenbaum!
O Kind, was hast du da gemacht?
Stille Nacht, heilige Nacht.
Leis hat sie ihr ins Ohr gesungen:
Mama, es ist ein Reis entsprungen:
Papa haut ihr die Fresse breit.
O du selige Weihnachtszeit!

Vielleicht noch eine kleine makabre Geschichte.
Kurz vor Ende des Krieges saß Karl-Heinz Stroux,
der spätere Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses
und damals noch Regieassistent von Gustav Gründgens,
der unter den Nazis Intendant des Schauspielhauses in Berlin war,
mit Kollegen in einer Berliner Kneipe und sie sprachen über Carola Neher.
Da drehte eine altgewordene Hure sich um und sagte zur Verblüffung aller: »Ick besitze det allet von die Neher.«
Stroux ging gleich zu ihr nach Hause und sah,
dass sich dort in einer großen
Kiste nicht nur Nehers, sondern auch Klabunds Nachlass befand.
Er versprach wieder zu kommen. Was er auch tat,
denn er sollte im Auftrag von Gustav Gründgens diesen Nachlass kaufen.
Doch als er am nächsten Tag vor der Tür stand,
war das Haus und der Nachlass nur noch Schutt und Asche.
Der Bombenangriff der letzten Nacht hatte alles zerstört.

Klabund in Wikipedia

Väter und warum sie besser sind als ihr Ruf

(aus der SF-Gesprächsreihe "Sternstunde Philosophie")

In den Diskussionen über die Krise der Familie und den Mut zur Erziehung ortet der in St. Gallen lehrende Philosoph Dieter Thomä das Ergebnis einer jahrhundertealten Verunsicherung der Väter und ihrer Rolle. Der Vater als Patriarch hat ausgedient, doch wer tritt an seine Stelle? Trifft das Schlagwort von der "vaterlosen Gesellschaft" überhaupt zu?
In "Sternstunde Philosophie" erläutern die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello und der Philosoph Dieter Thomä, warum Väter besser sind als ihr Ruf.