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InteGRATion into
GRATeFULLness
Close-ups of my Past
2007_08_05: Closeup of 1974_06_11-21
See also "Das Herz ist Wach" (2)
Martin Fincke, once my fiancé,
and our Denial-of-Feelings
A Letter of 5 pages, which was never sent
1974_06_11
Lieber Martin angesichts unsres bevorstehenden Wiedersehns bewegen mich soviele Gedanken, Erinnerungen und Probleme, dass ich einfach mal anfangen will, sie niederzuschreiben. Vielleicht kann ich Dir die Seiten rechtzeitig zukommen lassen, dann sparen wir Zeit bei unserm Zusammensein und koennen uns ganz Deinen Gedanken, Erinnerungen und Problemen und dann vielleicht dem gemeinsamen Bau einer neuen Basis fuer unsere Freundschaft widmen. Vielleicht auch werde ich mich schliesslich doch entscheiden, keinerlei Initiative zu ergreifen und weiter warten auf Dich.
So auch bei Dir, - wie immer Du Dich veraendert
haben magst, und was ich damit meine, ist – wie immer du zerbrochen
sein magst – ich sehe die Scherben, aber ich sehe auch wie sie
einmal zusammengehoerten und wie sie deshalb auch wieder zusammengehoeren
und ganz werden koennen. Anzeichen des Bruches sah ich schon vor zehn
Jahren und erst recht vor fuenf. Und grade diese Tatsache ist es, die
mich all die zehn Jahre nicht hat ruhen lassen. Ich wusste, es muss
einmal der Tag kommen, an dem wir unserer Freundschaft die Fortsetzung
geben koennen, deren sie wuerdig ist. Meine einfache grosse, aber auch
aengstliche Hoffnung ist es, dass Du heute die Kraft dazu hast - die
Kraft, die Freundschaft mit mir wieder zu wagen.
Die zehn Jahre waren wohl noetig, um die Wunden unsrer Begegnung zu heilen und uns ganz dem Menschen zuzuwenden, mit dem die Ehe gut und notwendig war. Aber ich denke, die Zeit ist gekonmen, dass wir unsrer Ehe keinen Abbruch tun, indem wir Gedanken und auch Gefuehle in eine neue Freundschaft legen. Ich jedenfalls brauche Dich, und ich habe heute wieder das Vertrauen zu mir selbst, dass ich wohl helfen koennte, Deine Scherben wieder zusammenzusetzen.
page 2 Du musst dazu zunaechst wissen – und ich werde noch oft in diesem Brief darauf zu sprechen kommen – dass von meinem subjektiven Gefuehl her Dein Unterlegenheitskomplex geradezu paradox ist. So paradox wie es waere, wenn die Quelle in Ein-Gedi zu dem kleinen Dschungel vor ihrer Nase sagen wuerde; Du erdrueckst mich! Ist es doch eben diese Quelle, die diesen Dschungel aus der Wueste hervorgezaubert hat. Sicher – das wilde Gewaechs verstellt die Aussicht auf die Quelle und hat in seinem ueppigen Wachstum auch bedrohliche Aspekte, aber doch nicht fuer die Quelle! Dieses Gleichnis passt ganz und gar auf das Jahr 1959/60, und wenn ich jetzt Deine Briefe wieder lese und sehe, dass der Unheilsfaden fast vom ersten Brief an darin zu finden ist, d.h. also Dir bewusst war, dann kann ich mich nicht einmal beschuldigen, dass ich diesem Faden keine Bedeutung zumass. Vielleicht haette Erich Kuby damals im Frankfurter Park vor unsrer Abreise nach Amerika bzw. Israel etwas veraendern koennen, wenn er nicht so obskure Formeln wie ich sei "zu schwer fuer Dich" gebraucht haette, sondern mir klaren Wein eingeschenkt und mir geraten haette, was ich tun kann oder muss. Ich glaube nicht, dass ich mich selber oder Dich haette veraendern koennen und dass also eine Heirat moeglich gewesen waere. Aber wenn wir uns und vor allem ich mir des Problems, das zwischen uns stand, bewusst gewesen waere, haetten wir vielleicht frueher den Mut zur Trennung gehabt – und daraufhin zu einer Freundschaft auf neuer Ebene – und haetten uns nicht so fuerchterlich gequaelt...
Ich ruehre das "wenn und haette" nicht auf, um die Vergangenheit zu beweinen, sondern um "die Moral aus der Geschicht'" fuer die Zukunft zu ziehn. Wie sie, diese Moral, fuer Dich aussieht, ueberlass ich Dir, und Du musst sie mir nicht erzaehlen, wie Du ueberhaupt auf nichts in diesem Brief zu reagieren brauchst. Offenheit, die nicht mit Offenheit beantwortet wird, erzeugt zwar ein Gefuehl der Bloesse und Scham, aber ich will das Dir gegenueber riskieren. Die Moral sieht also etwa so aus,
21.6.74 Obwohl ich nun weiss, dass ich Dir den Brief nicht geben werde, eben um den Graben nicht wieder zu Anfang auszufuellen, will ich fortfahren, gleichsam mir selbst die Summe meiner "Vergangen- heitsbewaeltigung" mitzuteilen. Ich habe alle Deine Briefe wiedergelesen und darin
auch mich selber wiedererkannt. Hinter all der Strahlenbekleidung, die
Du mir umgelegt hast, sehe ich doch das wahre, unerfreuliche Bild. Unerfreulich
sage ich nicht mehr wie frueher – in dem Gefuehl
der "Suende", und "Schwachheit' und "Schuld".
Grade dies damalige mich und alle meine Beziehungen zu Dir und andern
Menschen so terrorisierende Gefuehl ist das, was ich auch jetzt
noch nicht voellig objektiv betrachten kann. Noch immer kleben mir die
alten Traumata an, wenn ich sie nun auch belaecheln
kann.
Seite 3 Hat sich denn nun nichts geaendert? Oh doch, die Freiheit im Gehirn ist doch nicht zu verachten. Freiheit von Not-OK. Freiheit von dem "was andre ueber mich denken und sagen", Freiheit vom Erfolg meines Tuns, Freiheit von der Sucht nach Vollkommenheit, ja Freiheit von dem Krampf, das Leben sinnvoll zu verbringen, also Freiheit vom Leben ueberhaupt, Freiheit fuer den Tod – all diese grosse ueberwaeltiende Freiheit habe ich mir doch erkaempft, und wenn sie auch noch weit davon entfernt ist, meine G e f u e h l e zu leiten, so kann ich doch bei meinem Gehirn, das von dieer Freiheit erfuellt ist, Zuflucht suchen, wenn immer mein Gefuehl wieder versagt hat. ["Mein Gefuehl hat wieder versagt"? Oh weh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!]
Ist es nicht tragikomisch, dass ich, die ich dermassen von Emotionen tyrannisiert worden bin und werde, gleichzeitig so zerstoererisch – mir selbst gegenueber und den andern gegenueber in meinen verstandesmaessigen Reflexionen bin? Du hast mir das vorgeworfen und viele andre auch. Es liegt aber wohl nicht an den Reflexionen an sich. Wenn ich nicht die Faehigkeit haette, meinen Emotionen immer wieder mit meinem Verstand zuleibe zu ruecken, so wuerde ich gewiss nicht mehr am Leben sein. Sondern das Schlimme ist, dass ich laut reflektierte. Dass ich die Andern, die doch unfaehig waren, meine Last zu tragen, an diesem fuerchterlichen Kampf zwischen Gefuehl und Verstand teilzunehmen zwang. Das war wohl eine Grausamkeit in jedem Fall, aber
in deinem Fall, der Du einen aehnlichen Kampf auszufechten hattest und
vielleicht hast, fuehrte es zu wahrer Quaelerei. Und wenn Rafael der
einzige Mensch ist, der es mit mir aushaelt, dann eben weil er es strikte
und oft brutal, "herzlos", ablehnt, an diesem Kampf teilzunehmen.
Natuerlich kann Rafael so nur handeln, weil sein Verstand – nicht sein Gefuehl! – so oberflaechlich gebaut ist. Er hat einen weiten , phantastischen Intellekt, rasche Auffassungsgabe, ausgezeichnetes Gedaechtnis, Faehigkeit zu abstraktem sowohl als zu mathematischem Denken. Aber zwischen dem Reich seines Verstands und dem Reich seines Gefuehls bestehen wenig Beruehrungspunkte. page4 Er kann im Jahr 100 Buecher lesen und tut das auch, aber kein einziges bringt ihn zum Weinen, zum Sich-Identifizieren oder Sich-Distanzieren, kein einziges veraendert in ihm irgendetwas. Ich dagegen fasse langsam auf, habe ein miserables Gedaechtnis und bin unfaehig zu abstraktem Denken. Aber was immer ich denke, was immer ich lese – und das ist sehr wenig – vielleicht fuenf Buecher pro Jahr – hat einen unmittelbaren und starken Einfluss auf mein Gefuehl, praegt mich, veraendert mich. "Weich wie Wachs", sagtest Du immer und meintest, ich muesse jeden Eindruck erst durchsieben, bis ich mir erlaube, ihn mich praegen zu lassen. Das lerne ich langsam, sehr langsam. Aber ich habe auch gelernt, in dieser "Tiefe" meines Verstands nicht nur einen Fluch zu sehn. Grade diese Art von Verstand ist meine Besonderheit, und also ist grade sie es, mit der ich meine Aufgabe, falls ein Mensch eine Aufgabe hat, erfuellen werde. Trotzdem ist es ein wahres Wunder, dass ich Rafael zum Mann habe. Einfach ist es nicht – aber was waere bei mir je einfach? Und oft sehne ich mich nach Deiner Tiefe. Aber es waere, wie Du mal richtig schriebst, "Inzucht' gewesen, wenn wir geheiratet haetten, und die Gefahren der Inzucht sind bekannt genug...
Ich komme zurueck zu dem Weg zur Freiheit, auf dem ich mich trotz aller Fesseln anachronistischer traumatischer Reaktionen befinde. Einen Beweis sehe ich u.a. darin, dass ich mich so leicht dazu ueberwinden konnte, Dir diesen Brief nicht zu schicken, d.h. die Vergangenheit ruhen zu lassen und auf das Ueber-Uns-Reflektieren endlich und einfuerallemal zu verzichten.
Du schriebst in einem Deiner letzten Briefe 1961, naemlich nach unsrer Trennung in Heidelberg, dass wir 'frei und ledig' voneinander siind, was die exklusive Gemeinschaft, naemlich der Ehe, angeht, dass wir aber "fatal aneinandergebunden sind', was die Frontgemeinschaft angeht. Diese 'Fatalitaet", d.h. Schicksalsnotwendigkeit, empfinde ich heute mehr denn je. Aber ich will mir jetzt nur noch darueber klarwerden, was darauf an konkreter gemeinsamer Arbeit und gemeinsamem sachlichen Ziel folgt, nicht mehr ueber die Tatsache dieses Aneinandergebundenseins an sich. Immer habe ich alles zerredet, immer sage ich zuviel
ueber "das Persoenliche", dabei habe ih so einen guten Massstab
fuer das, was ich sagen darf und das worueber ich schweigen muss; "Wasimmer
ich in Rafaels Gegenwart nicht wagen duefte zu sagen, das darf ich auch
in seiner Abwesenheit nicht sagen." Ich bin oft froh, wenn ich
ohne ihn mit andern rede, aber wie oft habe ich dann bereuen muessen,
was ich gesagt habe. Mut auch Dir gegenueber! Nun nicht aus lauter Klugheit, den Graben nicht zu Anfang auszufuellen , - dich nicht wieder zu ueberrumpeln, Dich nicht wieder zum Anteilnehmen an meinen Daemonenkaempfen zu zwingen – gar keine Initiative zu ergreifen. Ich darf wohl auch etwas von Dir verlangen, ich meine, die Kraft mich zu ertragen, unter meiner Art, wie sie ist, ja auch unter meinen Unausgegorenheiten und Ungezuegeltheiten zu leiden. Du schriebst einmal, mein "Alptraum", ich wuerde alle Menschen, denen ich begegne, leiden machen, sei die Hauptunwahrheit, die zwischen uns stuende. Der Alptraum ist immer noch in meinem "Gefuehl", s. oben, und immer noch missachte ich all die Beziehungen, in denen ich Reichtum und Freude schenke und beachte nur die Beziehungen, die ich durch Leid, das ich antat, zerstoert habe.
In Freiheit und Mut also werde ich versuchen, die Frontgemeinschaft zu erneuern. Du schriebst einmal, dass es unangaengig sei, die besondere Beziehung zwischen Deutschen und Juden zu leugnen. Und Du deutetest an, dass von Dir selber eines Tages etwas geleistet werden muesse, was Israel zum Segen gereiche.
Eben dies meine ich. Du musst mir helfen, mein Volk aus dem Sumpf zu ziehen. Du, dessen Verstand eher an meine Tiefe reicht als der irgendeines andern, der aber andererseits dieselbe Weite und Faehigkeit besitzt wie Rafaels. Du, der Du stets gemeint hast, dass wir unser Leben haben, um es hinzugeben, dass wir eine Aufgabe, eine "Sendung" haben, eine Verantwortung fuer unsere Gemeinschaft – Du bist der, der mir helfen muss, die richtigen Wege fuer mein Tun zu waehlen. Auch die Tatsache, dass Du "draussen" bist und also objektiv sein kannst, auch die Tatsache, dass Du Mittler sein kannst zwischen Arabern und Juden, das alles macht deutlich, dass nun die Zeit gekommen ist, da Du dem alten Buendnis unsrer Frontgemeinschaft endlich konkretes Leben verschaffst. Was das fuer Dich selber bedeutet, fuer Deine Aufgabe in Europa, das weiss ich jetzt nicht und will ich auch nicht ueberlegen. Du wirst Dein eignes Inteesse schon selber wissen und ohne dies wirst Du mir ohnehin nicht helfen. Also da bin ich gar nicht unsicher und aengstlich. Wichtig ist allein, dass ich mich wirklich ganz und allein auf unsre S a c h e konzentriere und soweit unsre Personen nicht ausgeschaltet werden, die Spannung unreflektiert und unzerredet erhalte. Grade diese Spannung wird unsrem Kampf um die "Sache" stets den notwendigen impetus, die notwendige "Energie' geben (um bei dem physikalischen Gleichnis der Elektrizitaetserzeugung zu bleiben).
Ich darf also fuehlen, aber meine Gefuehle nicht ausdruecken. Ich darf schreiben, aber nicht sachbezogene Briefe nicht abschicken. Ich darf bei Dir sein, aber Dich nicht beruehren, weder koerperlich noch mit der Seele. Nur unser Verstand darf sich vereinen, soweit er parallel ist. Die notwendige Spannung bleibt auch da erhalten – in dem Masse als mein Verstand tiefer reicht als der Deine und der Deine hoeher und weiter reicht als der meine. Das ist nun nicht "Klugheit' um Deinetwillen, um Dich ' zu erziehen', wie Du mal meintest, nicht 'Abischt', die du merkst und die Dich 'verstimmt'. Es ist mein eigenes Interesse, es ist m e i n e Hoffnung, dass, wenn ich diese Spielregeln einhalte, die fuenfzehn Jahre (genau um diese Zeit bist Du 1959 in die Tuebinger Gruppe der Deutsch-Israelischen Studiengesellschaft gekommen!) nicht umsonst waren, auch nicht die zehn Jahre geradezu absoluter Abstinenz, sondern dass wir jetzt einander als zwei erwachsene Menschen, als zwei reife und freie Frontkameraden begegnen, frei von der Vergangneheit, frei von ungesunder Verklebung ineinander, frei fuer unsre Aufgabe, und dass wir im Kaempfen um diese Aufgabe auch die Fruechte des vergangenen Leidens und Liebens geschenkt bekommen und als Hilfe und Kraft erfahren werden. Ich hoffe das alles mit all der Kraft zum
Hoffen, die mir noch verblieben ist. Ich meine das 'noch' nicht deprimiert,
sondern im Gegenteil bin ich in dieser Hoffnung hochgestimmt. Angesichs
dem taeglichen und vertrauten Umgang mit dem Tod, und das meint; mit
dem Fliehenwollen aus dem ewig schmerzenden Bewusstsein der Unvollkommenheit
(meiner eignen und der der welt) und der Sinnlosigkeit (meines eigenen
Lebens und dessen der andern ) – ist es wie ein Ueberfluten von
Waerme und Licht, wenn ich fuehle, dass ich noch faehig bin, mich zu
sehnen und zu hoffen, - nach Rafael und den Kindern, sobald ich nicht
bei ihnen bin – und nach der Arbeit mit Dir. Eine frueher geliebte
Lehrerin, Frl. Fulda, schrieb mir mal als Trost; "Sehnsucht haelt
dich lebendig". Damals haette ich gern verzichtet auf dieses Lebendigsein.
Heute bin ich dankbar dafuer. |
Bielefeld, November 1959 Our story - I'll tell it another time
Before we had to separate geographically,
Boeblingen, August 1960
Frankfurt, August 1960, with Martin's
parents
Rafael finally comes to see his
son Immanuel,
Our family, meanwhile 3 children, i.e. I wanted to beg Martin to
help me pull my people, Israel, out of the swamp. that I would again overwhelm him , if I would send him that letter. I don't know, if we talked about my yearning for partnership with him, in any case - no co-operation ever manifested. Martin even never came to Israel again. It was me, who arranged a meeting with his family, while we were both in England
in August 1978. when I visited him at Passau, where he worked as a Professor for Law.
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I want to express my fathomless GRATe-FULL-ness to you,
Martin Fincke
for the gifts that you have given me
gifts, which helped me to live
gifts, which helped me to love myself at least a little,
gifts, without which I would not have become the human being I am today.
Whenever I sing
the Hebrew folksong/dance, which you taught us in July 1959,
I think of you and thank you.
Christa-Rachel Bat-Adam
to
former accidental closeup of my Past
to next
accidental closeup of my Past